Schreiben und Portraitfotografie: Seit einigen Tagen besitze ich eine neue Fotokamera, mit der ich auch wieder, wie zu Zeiten des Rollfilms, selbstbestimmte Fotos machen kann. Bisher zwar nur in meiner Phantasie, spüre ich doch den Beginn eines großen voyeuristischen Abenteuers.
Fotografie – Eine Schule des Sehens
Schon früher, im Alter zwischen 20 und 28 Jahren fotografierte ich viel und leidenschaftlich. Vor allem fotografierte ich gezielt. So hat mich die Fotografie das Sehen geleert und mir die Augen geöffnet. Zwar lag mir auch viel daran, wie natürlich in diesen Jahren, Lob und Anerkennung von meinem Umfeld für meine Fotografien zu erhalten. Zumal ich ansonsten mit den Dingen, die mich interessierten (Philosophie) oder die ich einfach machen musste (Maschinenbaustudium) weder bei Freunden noch in der Familie großartig Loorbeeren ernten konnte. Also gab ich mir in der Fotographie und auch in meiner schwarz-weiß Dunkelkammer – der Steinfußboden des verdunkelten Badezimmers – große Mühe. Was dann auch entsprechend honoriert wurde.
Das Abenteuer Fotografie
Es war jedes mal ein überaus erregendes Abenteuer, mit meiner Kameraausrüstung auf Motivsuche zu gehen. Entweder wenn ich die Zeit dazu hatte oder mir die Zeit dazu einfach nahm, indem ich Vorlesungen schwänzte oder mich nur nachlässig auf den kommenden Studientag vorbereitete. Im Lauf der Jahre wurde ich mir meines fotografischen Handwerks und meines fotografischen Könnens und Feingefühls sehr sicher.
Nur an eine Sache wagte ich mich nicht heran, und das war die Portraitfotografie. Natürlich fotografierte ich meine Freundin, meine Familie und meine Freunde. Aber als Portraitfotografie hätte ich es damals wohl nicht bezeichnet und heute würde ich das erst recht nicht tun. Die Portraitfotografie birgt für mich ein erst noch zu entdeckendes Geheimnis.
Der Reichtum an Bildern in früheren Jahren
Wenn ich schon von der Fotografie in den damaligen Zeiten spreche, dann sollte ich auch hinzufügen, dass ein Bild damals etwas Besonderes, etwas Wertvolles war. Bilder gab es zwar in den zwei oder drei verfügbaren Fernsehprogrammen, in der Zeitung, in Büchern, in Illustrierten oder in Magazinen, die ich gierig auf die in ihnen enthaltenen Bildern durchblätterte. Doch die Art und die Anzahl hervorragender Fotografien, die zur Verfügung standen, war sehr begrenzt. So habe ich mit einzelnen Abbildungen von Fotografien, zum Beispiel in Museumskatalogen, oft Stunden verbracht. Stunden voller Begeisterung, voller Faszination und Neugier. Und Stunden erfüllt von der Frage: Was macht ein gutes Bild aus? – Was macht den Zauber eines guten Bildes aus?
Fotografieren heißt: Sehen lernen
Wertvoll waren Fotografien aber nicht nur in ihrer relativen Seltenheit. Fotografien waren auch im ganz einfachen monetären Sinn wertvoll. Wir brauchten Filme, die Filme mussten entwickelt werden und entweder ließ man dann teure Abzüge herstellten oder man stellte eben selbst welche her. Selbst Dias wollten gerahmt und archiviert werden. Und alles kostete Geld. Ziemlich viel Geld für meine damaligen Verhältnisse. Der positive Effekt dabei war: Ich überlegte es mir mehr als dreimal, bevor ich den Auslöser drückte. Und immer löste ich nur dann aus, wenn ich mir ganz sicher war, die allerbeste Einstellung gefunden zu haben.
Jeder entstandenen Fotografie ging also ein langes Suchen, Versuchen, Sehen, Beurteilen, Verwerfen und wieder neu Versuchen voraus. Das heißt: Jeder Fotografie ging ein langes Sehen-Lernen voraus. Deshalb war es auch am besten, wenn ich zum Fotografieren alleine unterwegs war. Das vermied Ärger. Ärger, der sich auch dann wie von selbst einstellte, sobald ich Personen fotografieren wollte. Wie hätte ich also jemals zur Portraitfotografie gelangen sollen?
Der heutige Reichtum an Fotografien
Heute sieht der Zugang zu Bildern und Fotografien sehr viel anders aus. Das Internet bietet uns die Möglichkeit, Bilder und Fotografien in unendlicher Anzahl anzuschauen und uns über unsere Fotoforen auch auszutauschen. Deshalb unter anderem, war ich auch mehrere Jahre nicht mehr fotografisch unterwegs. So viele Bilder, die mir gefielen oder Motive, die mich hätten interessieren können, waren schon fotografiert und das viel besser, als ich es jemals hätte schaffen können. Also verlagerte ich mich ganz darauf, schöne Fotos im Internet zu finden, anstatt selbst mit der Kamera loszuziehen.
Portraitfotografie – Ein Neubeginn und Abenteuer
Mit dem jetzigen erneuten Anlauf zur Portraitfotografie, der übrigens noch lange nicht real ist sondern bisher nur in meiner blühenden Phantasie stattfindet, beginnt für mich ein neues Abenteuer, von dem ich noch gar nicht erahnen kann, ob ich ihm überhaupt gewachsen sein werde. Denn dieses Abenteuer wird sehr viel Zeit, Aufwand und vor allen Dingen Mut von mir erfordern. Einen Mut, von dem ich noch gar nicht weiß, ob ich ihn habe! Aber vielleicht liegt ja gerade darin die Größe des Abenteuers für mich begründet: Im Überschreiten einer gewissen Scheu und Ängstlichkeit, im Aufbau einer Selbstsicherheit auf mir bisher unbekanntem Terrain.
Portraitfotografie – Geheimnisvolle Verführung
Je länger ich mich mit dem Gedanken der Portraitfotografie befasse, desto klarer wird mir, was ich eigentlich, in Wahrheit, erreichen will. Denn nur zum Teil, zum allerkleinsten Teil, geht es mir darum, eine ansprechende Abbildung einer Person zu erschaffen oder zu erhalten. Viel wichtiger ist mir die Geschichte dieses Menschen
Portraitfotografie und Schreiben
Beim Nachdenken über die Portraitfotografie und beim Planen dessen, was ich erreichen will, was meine Sehnsucht schürt, merke ich, wie sehr ich doch vom Schreiben beeinflusst bin, wie sehr mich das Schreiben und die Liebe zum Schreiben ganz und gar durchdringt. Und da ist noch etwas Anderes. Eine Sehnsucht nach … – ich weiß es noch nicht zu sagen. Es ist etwas Voyeuristisches, etwas Neugieriges, vielleicht manchmal auch etwas Erotisches, aber niemals etwas Niederträchtiges, Gemeines oder Unanständiges. Es ist eine Sehnsucht, die von größtem Respekt und Wohlwollen getragen ist. Fast möchte ich sagen: Es ist eine Sehnsucht, die von Liebe getragen ist. Aber das sage ich lieber nicht; da bin ich lieber ein bisschen vorsichtig und lasse die Liebe außen vor. Die Liebe hat so viele Haken.
Portraitfotografie – Die Sehnsucht nach einer Geschichte
Wonach ich mich bei der Portraitfotografie wohl wirklich sehne, das ist, eine Geschichte geschenkt zu bekommen. Eine wirkliche Geschichte! Eine schöne Geschichte! Vielleicht eine Geschichte, die mir etwas über diesen Menschen, den ich portraitiere, erzählt. Vielleicht eine Geschichte, aus der ich etwas lernen kann, um endlich weise zu werden!
Und vielleicht ist es dann ja sogar eine Geschichte, die mich zum Schreiben verführen kann.
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